Die 116 ersten Manuskriptseiten des Buchs Mormon sind verloren gegangen. Wie kam es dazu? Und was zeigt uns das über die Übersetzerfährigkeiten Smiths?
Aus den offiziellen „Gospel Topics Essays” der Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage:
“Im Juni 1828 erlaubte Joseph Smith seinem Schreiber Martin Harris zögerlich, 116 Seiten des Originalmanuskripts des Buches Mormon auszuleihen. Harris versprach, auf die Seiten aufzupassen und sie nur bestimmten Angehörigen zu zeigen, aber bald darauf verschwanden die Seiten und sind seither nicht wiedergefunden worden.”
Das war ein schwerer Schlag. Martin Harris, der Schreiber Smiths hatte einen größeren Teil des bis dahin erstellten Manuskripts mit nach Hause genommen. Seine Frau stand dem Projekt skeptisch gegenüber. Harris wollte damit seiner Ehefrau zeigen, dass das Projekt Hand und Fuß hatte.
Wie genau die Seiten verschwunden sind und wohin, wurde nie geklärt. Smith hatte nun aber ein Problem: Er konnte sich nicht sicher sein, ob diese Seiten wieder auftauchen würden. Er musste damit rechnen, dass man hier seine Übersetzerqualitäten auf die Probe stellen wollte.
Stellen wir uns einmal vor, Smith hätte die 116 Seiten einfach neu übersetzt. Dann hätte die Person, die den Text an sich genommen hatte, die beiden Übersetzungen vergleichen können. Hätte Smith diesen Test eines Propheten überstanden?
Die Übersetzung des Buchs Mormon ruhte danach für 9 Monate. Schließlich verkündete Smith, dass Gott ihm sogar ausdrücklich verboten hatte, diese Seiten neu zu übersetzen. Stattdessen sollte er für diesen Teil des Buchs Mormon nun einen anderen Teil der goldenen Platten verwenden. Der verloren gegangene Abschnitt wäre das “Buch Lehi” geworden. Stattdessen entstand nun das Buch “1. Nephi”. (Lehi ist im Buch Mormon der Vater von Nephi.)
Hier noch ein Ausschnitt aus dem Gospel Topics Essay dazu:
“In der Offenbarung (siehe Lehre und Bündnisse 10) hieß es, dass die Platten Nephis einen Bericht enthielten, der mit dem Buch Lehi vergleichbar sei, doch liege der Schwerpunkt darin mehr auf der geistigen Komponente der Geschichte der Familie Lehis. Joseph erfuhr, dass er die Platten Nephis bis zu der Stelle übersetzen solle, wo das verlorengegangene Manuskript geendet hatte.”
Mal angenommen, es wäre nicht Gott gewesen, der Smith Wort für Wort diktiert hat, was er schreiben sollte, was wäre dann? Wenn Smith mehr über die „geistige Komponente“ schreiben konnte und damit weniger über geschichtliche Abläufe, (also: wer regierte wann, wer zeugte wen), dann war die Gefahr, sich beim Neuschreiben in Widersprüche zu verwickeln, geringer.
Ich halte dies auch für die plausibelste Erklärung. Die offizielle Sicht überzeugt mich nicht. Wieder aus den Gospel Topics Essays:
„In der Offenbarung wurde Joseph auch verboten, das Buch Lehi erneut zu übersetzen, und er wurde vor Gegnern gewarnt, die im Besitz des verlorengegangenen Manuskript waren und vielleicht versuchen würden, den Text zu verfälschen und dann die veröffentlichte Ausgabe des Buches Mormon in Verruf zu bringen.“
Das ist schon eine steile These: Da hat jemand 116 Manuskriptseiten gestohlen. Und mal angenommen, Smith würde einen identischen Text neu übersetzen. Dann hätte er damit rechnen müssen, dass derjenige, der die 116 Originalseiten hatte, diese verfälscht, nur um Smith dann vorwerfen zu können, er könne mit Gottes Hilfe das Original nicht reproduzieren? Man hätte doch anhand der Handschrift schon erkennen können, was Smith tatsächlich geschrieben hatte und was Lucy Harris daran verändert hat.
Diese Verfälschungsthese greift nicht. Im Gegenteil. Sie macht Smith als Übersetzer unglaubwürdig. Denn Gott wäre tatsächlich in der Lage gewesen, die 116 Seiten wiederherzustellen.
An dieser Stelle sollten wir einen Blick in die Bibel werfen. Denn dort gab es einen vergleichbare Fall. Jeremia Kaiptiel 36,1-4:
“Und es geschah im vierten Jahr Jojakims, des Sohnes Josias, des Königs von Juda, da geschah dieses Wort von dem HERRN zu Jeremia: Nimm dir eine Schriftrolle und schreib darauf all die Worte, die ich zu dir geredet habe über Israel und über Juda und über alle Nationen, von dem Tag an, da ich zu dir geredet habe, von den Tagen Josias an bis auf diesen Tag! Vielleicht wird das Haus Juda auf all das Unheil hören, das ich ihnen zu tun gedenke, daß sie umkehren, jeder von seinem bösen Weg, und ich ihre Schuld und ihre Sünde vergebe. – Da rief Jeremia Baruch herbei, den Sohn des Nerija. Und Baruch schrieb aus dem Mund Jeremias all die Worte des HERRN, die er zu ihm geredet hatte, auf eine Schriftrolle.”
Jeremia ließ die Worte, also das Buch Jeremia bis zum Kapitel 35, dem König vorlegen. The King was not amused. Er ließ die Schriftrolle vernichten. Demonstrativ. Stück für Stück.
“(Jer 36,21-23) Da sandte der König den Jehudi, die Rolle zu holen. Und er holte sie aus der Zelle des Schreibers Elischama. Und Jehudi las sie vor den Ohren des Königs und vor den Ohren aller Obersten, die um den König standen. Der König aber saß im Winterhaus – [es war] im neunten Monat -, und das Feuer im Kohlenbecken war vor ihm angezündet. Und es geschah, sooft Jehudi drei oder vier Spalten vorgelesen hatte, zerschnitt sie der König mit dem Schreibermesser und warf sie in das Feuer, das auf dem Kohlenbecken war, bis die ganze Rolle im Feuer auf dem Kohlenbecken vernichtet war. “
Wie hat Gott damals reagiert? Gott sagte:
Jer 36,28: Nimm dir noch einmal eine Rolle, eine andere, und schreibe darauf all die vorigen Worte, die auf der vorigen Rolle waren, die Jojakim, der König von Juda, verbrannt hat.
Jeremia tat, was ihm aufgetragen war:
Jer 36,32_ Da nahm Jeremia eine andere Rolle und gab sie dem Schreiber Baruch, dem Sohn des Nerija. Und er schrieb darauf aus dem Mund Jeremias alle Worte des Buches, das Jojakim, der König von Juda, im Feuer verbrannt hatte. Und es wurden noch viele Worte wie diese hinzugefügt.”
Jeremia hatte kein Problem mit einer verbrannten Schriftrolle. Und Gott auch nicht. Das Buch wurde neu geschrieben. Und zwar ausdrücklich “alle Worte des Buches, das Jojakim, der König von Juda, im Feuer verbrannt hatte”. Der Bibeltext ist hier ganz klar: die zweite Ausgabe vom Buch Jeremia war im Text identisch wie die erste. Es wurde lediglich noch Text hinzugefügt.
Der Gott, der Himmel und Erde erschaffen hat, der konnte das Werk eines Propheten 1:1 wiederherstellen.
Warum also war diese Aufgabe für Joseph Smith zu schwer und zu groß? Und wenn Gott tatsächlich der Urheber des Buchs Mormon war, warum hat er dann nicht einfach Smith erzählt: Joseph, das Skript liegt bei Lucy Harris, der Ehefrau deines Schreibers Martin Harris, und zwar in der dritten Schublade von oben im Schlafzimmer rechts von der Tür. Geh da mit Martin Harris zusammen hin und stelle sie zur Rede. Das wäre ein Beweis für die Glaubwürdigkeit des Propheten Smith gewesen.
Womöglich wäre Lucy Harris dann sogar der Kirche, die Smith gegründet hat, beigetreten.
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