Warum gehen Zeugen Jehovas von Haus zu Haus?


Zeugen Jehovas sind dafür bekannt, dass sie von Haus zu Haus missionieren. Sie erwarten von Ihren Mitgliedern, dass alle mitmachen. Allerdings findet sich in der Bibel keine solche Verpflichtung für alle Christen. Im Gegenteil.

Das mag einen Zeugen Jehovas überraschen, aber in der Bibel steht es tatsächlich anders. Lasst uns das gemeinsam nachlesen. Hier die Übersicht:

  • Es gibt eine klare Aussage der Bibel, in 1. Kor 12, dass nicht alle Christen predigen sollen.  Stattdessen gibt es eine breite Palette von Begabungen, die Gott unter den Christen verteilt hat. Jeder hat die Aufgabe, diesen Gaben entsprechend in der Gemeinde zu dienen. Das bedeutet: es brauchen nicht alle zu predigen und es sollen auch nicht alle predigen. 
  • Die falsche Auffassung der Zeugen Jehovas zum Predigen von Haus zu Haus hat ihren Ursprung in einer falschen Übersetzung von Apostelgeschichte 5:42. Diesen Vers und den Kontext dazu schauen wir uns genauer an. Es wird sich herausstellen: dort ist die Rede von Bibelkreisen in den Häusern von Christen. Die frühen Christen sind nicht alle von Haus zu Haus gegangen, um an den Türen zu klingeln und zu predigen.
  • Im darauf folgenden Kapitel, in Apostelgeschichte 6 sehen wir dann, dass die frühe Kirche genau das getan hat, was wir über die Gaben und Aufgaben aus der Bibel gelernt haben. Man hat die Aufgaben verteilt. Nur eine kleine Zahl der frühen Christen hat gepredigt.

Gaben und Aufgaben

Menschen haben verschiedene Begabungen. Der eine kann dieses gut, der andere jenes. Das, was dem einen leicht fällt, ist für den anderen schwer. Mir zum Beispiel fällt es leicht, Sprachen zu lernen. Für andere ist genau das schwer.

Mancher ist im Turnen gut und kann damit die Zuschauer bei Sportveranstaltungen begeistern oder sogar eine Goldmedaille bei den olympischen Spielen gewinnen. Ich kann das nicht. Egal, wie lange ich für den Schwebebalken trainieren würde, ich würde darin nie gut werden. Ich würde nur unnütz meine Kraft und Zeit verschwenden.

Deshalb ist die biblische Lehre von Gaben und Aufgaben so wichtig. Der Zentrale Abschnitt dazu findet sich in 1. Korinther 12.

1. Kor 12: Paulus über geistliche Gaben

Es ist die Aufgabe von allen Christen, sich damit zu beschäftigen, denn Paulus betont:

1. Kor 12:1 (NWÜ): Was nun die Gaben des Geistes betrifft, Brüder, will ich nicht, dass ihr in Unkenntnis seid.

Im weiteren Verlauf dieses Kapitels führt Paulus dann die Lehre von den Geistesgaben aus: Christen haben verschiedene Gaben. Und daraus folgt auch, dass sie in der Gemeinde verschiedene Aufgaben bzw. Ämter haben.

1. Kor 12:4+5 (NWÜ): Nun gibt es Verschiedenheiten in den Gaben, aber da ist derselbe Geist; und es gibt Verschiedenheiten in den Dienstämtern, und doch ist es derselbe Herr;

Paulus vergleicht dann in den folgenden Versen die Gemeinde mit einem Körper. In Vers 17ff wird er ganz deutlich:

1. Kor 12,17 (NWÜ): Wenn der ganze Leib Auge wäre, wo wäre das Gehör? Wenn er ganz Gehör wäre, wo wäre der Geruchssinn? 18 Nun aber hat Gott die Glieder am Leib gesetzt, jedes von ihnen so, wie es ihm gefallen hat. 19 Wenn sie alle e i n Glied wären, wo wäre der Leib? 20 Nun aber sind sie viele Glieder, doch e i n Leib.

Einige Gaben werden von Paulus anschließend explizit genannt:

1. Kor 12:28 (NWÜ): 28 Und Gott hat die Betreffenden in der Versammlung gesetzt: erstens Apostel; zweitens Propheten; drittens Lehrer; dann Machttaten; dann Gaben der Heilungen; Hilfeleistungen, Fähigkeiten zu leiten, verschiedene Arten von Zungen. 29 Es sind doch nicht alle Apostel? Es sind doch nicht alle Propheten? Es sind doch nicht alle Lehrer? Es vollbringen doch nicht alle Machttaten? 30 Es haben doch nicht alle Gaben der Heilungen? Es reden doch nicht alle in Zungen? Es sind doch nicht alle Übersetzer?

Damit ist ausdrücklich genannt: nicht alle Christen sind Lehrer. 

Man kann nicht alle Christen als Lehrer von Haus zu Haus schicken, um von Haus zu Haus zu lehren. Und doch sollen nach dem Willen der Wachtturmgesellschaft alle Zeugen Jehovas von Haus zu Haus gehen und predigen. Das ist ein direkter Verstoß gegen die biblische Lehre.

Epheser 4

Jemand könnte nun einwenden, mit Lehrer wären hier möglicherweise nur Lehrer innerhalb der Gemeinde gemeint. Außerhalb der Gemeinde, von Tür zu Tür müssten dann doch alle ran. Trifft das zu? Nein. In einem weiteren Kapitel der Bibel, in Epheser 4 führt Paulus die Gabenlehre weiter aus:

Eph 4:7ff (NWÜ) Jedem von uns nun ist unverdiente Güte verliehen worden, so wie der Christus die freie Gabe zugemessen hat. 8 Deshalb sagt er: „Als er auffuhr in die Höhe, führte er Gefangene hinweg; er gab Gaben [in Form von] Menschen.“ (…) 11 Und er [der Christus] gab einige als Apostel, einige als Propheten, einige als Evangeliumsverkündiger, einige als Hirten und Lehrer,

Nicht nur das Lehren, auch das Verkündigen des Evangeliums, ist eine spezielle Begabung. Auch das ist nicht die Aufgabe von allen Christen. 

Halten wir fest:

Die Bibel zeigt deutlich, dass Begabungen sehr unterschiedlich sein können. Aber alle sind sie für den Aufbau der Gemeinde nützlich. Wenn jeder das tut, was er am besten kann, dann kann Gemeinde durch die Kraft des Heiligen Geistes ganz natürlich wachsen. Sie wächst dann auch viel schneller und man kann damit auch viel mehr Menschen zum Glauben führen, als wenn alle dasselbe machen müssen. Deshalb sind auch andere christliche Glaubensgemeinschaften sehr viel größer geworden als die Gemeinschaft der Zeugen Jehovas. Sie haben mehr Menschen zum Glauben geführt und das mit  deutlich weniger Aufwand.

Ein Beispiel dafür ist meine eigene Kirche, die Siebenten-Tags-Adventisten. Wir haben weltweit fast 22 Millionen getaufte Mitglieder, die Zeugen Jehovas haben etwa 9 Mio. Beide Glaubensgemeinschaften haben zu einem ähnlichen Zeitpunkt begonnen. 

Weitere Bibelstellen zum vertiefenden Studium:

  • Rö 12,4-8: viele Glieder, verschiedene Aufgaben.
  • 1. Pet 4,10+11: die eigenen Gaben einsetzen

Lehrt Apg 5:42, dass alle Christen von von Haus zu Haus predigen sollen?

Die Zeugen Jehovas legen Wert darauf, dass ihre Mitglieder regelmäßig von Haus zu Haus missionieren gehen.

Hier ein Beispiel: der Wachtturm vom 15.07.2008 schreibt auf den Seiten 3-7 unter „Der Haus-zu-Haus-Dienst: Warum heute so wichtig?“ wie folgt:

Wenn wir uns an dieser Tätigkeit beteiligen, sind wir bestimmt schon oft als Zeugen Jehovas erkannt worden, ohne etwas gesagt zu haben. Der Haus-zu-Haus-Dienst ist tatsächlich unser Markenzeichen geworden.

Abschnitt 1

Diese Art zu predigen wird in Abschnitt 3 als „apostolisches Muster“ bezeichnet.

In der Bibel wird ausdrücklich erwähnt, dass die Apostel von Haus zu Haus gingen, so zum Beispiel in Apostelgeschichte 5:42, wo es heißt: „Jeden Tag fuhren sie im Tempel und von Haus zu Haus ununterbrochen fort, zu lehren und die gute Botschaft über den Christus, Jesus, zu verkündigen.“

Abschnitt 4, Hervorhebung „von Haus zu Haus“ so im WT.

 Von 1919 an stellte man vermehrt die Verantwortung jedes Christen heraus, sich am Zeugnisgeben zu beteiligen. …  Einige zögerten und erhoben alle möglichen Einwände, aber das eigentliche Problem war, dass sie es für unter ihrer Würde hielten, von Haus zu Haus zu gehen. Als immer mehr Nachdruck auf das Verkündigen gelegt wurde, kehrten viele von ihnen der Organisation Jehovas den Rücken.

Abschnitt 6

Hier macht der WT deutlich, dass er Christen, die sich nicht am Haus-zu-Haus-predigen beteiligen, für minderwertig hält.

Alle, die noch nicht von Haus zu Haus gingen, wurden geschult, die Menschen an den Türen anzusprechen, anhand der Bibel zu argumentieren und Fragen zu beantworten.

Abschnitt 8

Diese Schulung war offenbar nicht freiwillig. Sie beschränkte sich nicht auf diejenigen, die für diesen Dienst begabt waren, sondern ausdrücklich auf alle.

Dieses Prinzip geht so weit, dass die Organisation der Zeugen Jehovas keine Mitgliederzahl veröffentlicht, sondern (neben der Anzahl der Taufen und der Teilnehmer am jährlichen Gedächtnismahl) ausschließlich die Zahl der Verkündiger. Die Botschaft ist immer dieselbe: Wenn du nicht bei diesem Dienst mitmachst, gehörst du nicht wirklich zu uns.

Aufgehängt wird dies im genannten Wachtturmartikel primär an Apg 5:42. Dies ist nach der Überschrift auch das einleitende Bibelzitat.

An dieser Stelle könnte man ja zunächst einmal stutzig werden und sich fragen, warum hier ausdrücklich von den Aposteln die Rede ist. Hier ist gar nicht von allen Christen die Rede. (Wir hatten ja gerde (siehe oben) gesehen, dass es unterschiedliche Gaben und Aufgaben gibt!)

Aber auch die Übersetzung von Apg 5:42 ist fragwürdig. Zum Vergleich. Statt „von Haus zu Haus“ heißt es

  • bei Luther „hier und da in den Häusern“
  • und bei Schlachter „in den Häusern“.

Das gibt dem Vers eine ganz andere Wendung. Bei der NWÜ könnte man auf die Idee kommen, die Apostel wären systematisch Straße für Straße und Haus für Haus durch Jerusalem gezogen und hätten bei Nichtchristen geklingelt. In den beiden Vergleichsübersetzungen hingegen ist nur allgemein von „Häusern“ die Rede.

Welche Häuser sind hier eigentlich gemeint? Die Häuser von Christen oder von Nichtchristen? Wie kann man das herausbekommen?

An dieser Stelle hilft ein Blick in den griechischen Originaltext von Apg 5:42. Die entscheidende Stelle heißt auf Griechisch „κατ᾽ οἶκον“ bzw. in unserer Schrift „kat’oikon“. Oikon ist Akkusativ von oikos (Haus). Die Präposition kata verliert in der Kombination mit dem Wort oikos den letzen Buchstaben, daher der Apostroph.

Was nun bedeutet die Präposition „kata“? Die Grundbedeutung lautet hinab. Ein Beispiel: Lk 10:32 (NWÜ): „als er an diese Stelle hinabkam“. Die Bedeutungsbreite dieser Präposition kata bei übertragener Verwendung ist komplex. (Siehe z.B. im Griechischlexikon von Blue Letter Bible). Wie kann man nun herausbekommen, wie „kata“ in Apg 5:42 zu verstehen ist, insbesondere, wenn man vielleicht nicht (wie ich) das neutestamentliche Griechisch gelernt hat?

Hierfür gibt es eine einfache Lösung: wir fragen die NWÜ. Denn es gibt einen weiteren Vers in der Apostelgeschichte, der ebenfalls die Wendung „kat’oikon“ verwendet. Ich stelle sie hier in der Elberfelder Übersetzung nebeneinander:

Apg 2:46 (Elberfelder): Und jeden Tag waren sie beständig und einmütig im Tempel und brachen das Brot in den Häusern, nahmen die Speise mit Frohlocken und in Einfalt des Herzens

Apg 5:42 (Elberfelder): und sie hörten nicht auf, jeden Tag im Tempel und in den Häusern zu lehren und das Evangelium von Jesus, dem Christus, zu verkündigen.

Beide Verse sind gleichartig gebaut: Christen tun eine Sache täglich, sowohl im Tempel als auch in den Häusern.

Wie lautet Apg 2:46 in der Neuen-Welt-Übersetzung?

Apg 2:46 (NWÜ): Und Tag für Tag waren sie fortgesetzt einmütig im Tempel anwesend, und sie nahmen ihre Mahlzeiten in Privathäusern ein und nahmen mit großer Freude und Aufrichtigkeit des Herzens Speise zu sich, 47 priesen Gott und erlangten Gunst beim ganzen Volk.

Das ist doch überraschend. Auch die NWÜ übersetzt hier „kat’oikon“ als „in Privathäusern“. Hier ist auch klar, dass „Haus zu Haus“ die falsche Übersetzung ist. Denn hier geht es um Christen, die mit anderen Christen gemeinsam essen.

Auch in der NWÜ ist natürlich nicht von Christen die Rede, die mit dem Brotkorb in der Hand von Haus zu Haus ziehen, um sich selbst bei Nichtchristen dazu einzuladen, mit ihnen in deren Privathäusern zu essen.

Genauso wie es in Apg 2:46 um Privathäuser von Christen geht, so geht es in Apg 5:42 um die Häuser von Christen, in denen die Apostel gepredigt haben. Sie haben sowohl im Tempel vor großen Mengen gepredigt, als auch im kleinen Kreis Christen im Glauben weiter unterwiesen. Von einem Predigtdienst Haus-zu-Haus ist keine Spur.

Offenbar war dies auch den Übersetzern der NWÜ bekannt, denn denn im Fall von Apg 2:46 haben sie diese griechische Formulierung auch genau so übersetzt.

Predigtdienst in der Urgemeinde

Schauen wir abschließend noch in Apostelgeschichte 6 und wir sehen an einem konkreten Beispiel, dass die erste Gemeinde das auch genau so gehandhabt hat: sie hat die Aufgaben aufgeteilt.

Auch in der Urgemeinde sind nicht alle Christen von Haus zu Haus gegangen, um an den Türen zu klingeln und zu predigen.

Apg 6:1 (NWÜ): Als nun in diesen Tagen die Jünger an Zahl zunahmen, entstand ein Murren der griechisch sprechenden Juden gegen die hebräisch sprechenden Juden, weil ihre Witwen bei der täglichen Austeilung übersehen wurden.

Die ersten Christen hatten also eine regelmäßige Versorgung der Witwen begonnen, aber dieser Dienst funktionierte nicht recht. Nun werden die Apostel tätig:

Apg 6:2 Da riefen die Zwölf die Menge der Jünger zu sich und sprachen: „Es gefällt uns nicht, daß wir das Wort Gottes zurückstellen, um [Speise] an Tische auszuteilen. 3 Darum, Brüder, sucht euch aus eurer Mitte sieben Männer aus, die ein [gutes] Zeugnis haben und mit Geist und Weisheit erfüllt sind, damit wir sie über dieses notwendige Geschäft setzen können; 4 wir aber werden uns dem Gebet und dem Dienst am Wort widmen.“

Die Apostel merkten, dass sie nicht alles alleine erledigen konnten. Sie konnten nicht predigen, viel Zeit dem Gebet widmen und gleichzeitig Essen für die Versorgung der Witwen kochen. Die Gemeinde war so groß geworden, dass die Arbeit in der Gemeinde organisiert werden musste. Der Predigtdienst wurde von den Aposteln übernommen. Die Versorgung der Witwen aber ging auf andere Mitarbeiter über:

Apg 6:5 Und das Wort gefiel der ganzen Menge, und man wählte Stephanus aus, einen Mann voll Glaubens und heiligen Geistes, und Philippus und Prochorus und Nikanor und Timon und Parmenas und Nikolaus, einen Proselyten aus Antiochia; 6 und man stellte sie vor die Apostel, und nachdem diese gebetet hatten, legten sie ihnen die Hände auf.

Was war nun die Folge davon, dass einige Christen sich auf das Predigen konzentrierten, und andere auf den praktischen Dienst an den Glaubensgeschwistern;

Apg 6:7 Infolgedessen wuchs das Wort Gottes weiterhin, und die Zahl der Jünger mehrte sich in Jerusalem fortgesetzt sehr; und eine große Menge Priester begann dem Glauben gehorsam zu sein.

Was kann man daraus lernen?

Mission funktioniert besser, wenn jeder seine Gaben erkennt und die dazu passenden Aufgaben übernimmt. Gemeinde wächst damit stärker als wenn alle dasselbe machen. Ein paar wenige Christen, die im Predigen richtig gut waren, konnten diesen Dienst vollständig und zu Gottes Zufriedenheit ausfüllen. Andere Christen übernahmen andere Aufgaben, die auch wichtig waren, damit die Gemeinde gedeihen konnte und damit niemand in der Gemeinde in seiner persönlichen Not übersehen wurde.

Was nun sind deine Gaben und Aufgaben?

Wenn du gut darin bist, von Haus zu Haus zu ziehen, dort zu klingeln und über den Glauben zu sprechen, dann mache das. Woran erkennst du, dass du darin begabt bist? Daran, dass man dir zuhört, daran, dass die Gemeinde dadurch wächst. 

Wenn du mit dem Predigen von Haus zu Haus aber keinen Erfolg hast, dann ist es eher an der Zeit, deine Gaben zu überdenken und dir in der Gemeinde eine Aufgabe zu suchen, die deiner Begabung entspricht.

Und lass dir dann von niemandem ein schlechtes Gewissen machen, wenn du nicht mehr von Haus zu Haus gehst.

Bildnachweis:

  • Titelbild: Depositphotos
  • Schwebebalken: Depositphotos

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