Ich wundere mich ja seit längerem über die fromme Szene. Da ist so vieles, was ich mit meinen Glaubensüberzeugungen und mit meinem Leben nicht zusammenbringe. Letzte Woche zum Beispiel berichtete die evangelikale Nachrichtenagentur idea über Bremen und die gesetzlichen Regelungen zum Karfreitag. Worum geht es in Bremen?
Karfreitag ist neben Volkstrauertag und Totensonntag ein sogenannter „stiller Feiertag“, was sich u.a. darin äußert, dass an diesen Tagen keine öffentlichen Musik- und Tanzveranstaltungen stattfinden dürfen.
Die rot-grüne Regierung will dieses Tanzverbot nun lockern, es soll am Karfreitag nur noch von 6 bis 21 Uhr gelten. Man wird also in Bremen in der Nacht von Gründonnerstag auf Karfreitag in die Disco können und so lange bleiben, wie man will. Auch die Nacht von Karfreitag auf Karsamstag ist uneingeschränkt, denn wer geht schon vor 21 Uhr in die Disco, also solange noch die Teenies dazwischen sind.
Das nun ruft die Kirche auf den Plan und auch die CDU. Und natürlich steht wieder einmal das Abendland vor dem Untergang.
idea schreibt:
Die kirchenpolitische Sprecherin der CDU-Fraktion in der Bürgerschaft, Elisabeth Motschmann, nannte das Ansinnen „respektlos“. Wenn man Achtung und Toleranz gegenüber anderen Religionen wünsche, dann könne man dies auch gegenüber dem christlichen Glauben erwarten, sagte sie auf Anfrage der Evangelischen Nachrichtenagentur idea.
Was ist denn das für ein merkwürdiges Verständnis von Toleranz? Friedrich der Große brachte Toleranz auf die griffige Formulierung „Jeder soll nach seiner Fasson selig werden“. Toleranz heißt doch gerade, dass man anderen zugesteht, Dinge anders zu sehen als man selbst. Toleranz gegenüber Nichtchristen am Karfreitag heißt doch gerade, dass wir Christen ihnen nicht vorschreiben, was sie an Karfreitag tun oder lassen sollen. Und im Gegenzug lassen die Atheisten, die Muslime und die Buddhisten uns Christen den Karfreitag so feiern wie wir das wollen. Stattdessen soll aber der öffentliche Raum nach unserer christlichen Pfeife tanzen?
Frau Motschmann weiter:
Im übrigen gebe es reichlich Tage im Jahr, an denen das Tanzen in der Öffentlichkeit ohne Einschränkung erlaubt sei. Privat sei es ohnehin selbst an geschützten Feiertagen möglich, so Motschmann, die auch dem Evangelischen Arbeitskreis der CDU Bremen vorsteht.
Wie bitte? Es gibt eine staatliche Erlaubnis, an allen anderen Tagen in der Öffentlichkeit zu tanzen? Wozu braucht man denn das? Wieso brauche ich zum Tanzen eine Erlaubnis? Leben wir noch in den Zeiten, in denen die Regierenden nach Gutsherrenart über ihre Untertanen herrschen?
Wir reden hier bei „Tanzen in der Öffentlichkeit“ übrigens gerade nicht über die Disco auf der Straße, denn es geht hier ja um die Zeit vor 6 bzw. nach 21 Uhr, es geht also um öffentlich zugängliche Diskotheken in geschlossenen Räumen. Warum bitteschön ist das für politisch engagierte Christen ein Problem, wenn andere Leute nachts in die Disco gehen? Niemand ist gezwungen, dort hinzugehen, auch Frau Motschmann nicht.
Ich kann mich darüber nur wundern. Ich meine, Frau Motschmann erweist der Kirche damit einen Bärendienst. Wir Christen haben schon lange das Image, dass wir andere Menschen gängeln. Dabei hatte Luther von der Freiheit eines Christenmenschen geschrieben.
Riskieren wir doch mal eine Blick über den großen Teich, in die USA. Christen haben dort einen wesentlich stärkeren Einfluss als in Deutschland, es gibt dort auch prozentual viel mehr freikirchliche Christen als bei uns. Gesetzlicher Ladenschluss am Sonntag? In den USA unbekannt. Jeder kann sein Geschäft aufmachen wann er will, auch nachts und auch am Sonntag. Und jeder kann es auch schließen. Und trotzdem sind die Kirchen dort voller als bei uns. Wie ist das nur möglich?
Es ist eben ein Irrweg zu glauben, Menschen würden in die Kirche kommen, wenn man nur gesetzlich dafür sorgt, dass sie sich sonst genügend langweilen. Besser wäre es, eine Gemeinde gestaltet ihre Gottesdienste so interessant und anziehend, dass es für die jungen Erwachsenen „in“ ist, dort hinzugehen.
Ich halte im Übrigen die verlässliche, regelmäßige Teilnahme am kirchlichen Gemeindeleben, also über das ganze Jahr hinweg, für wichtiger als die Frage nach einzelnen Feiertagen.
Zu guter Letzt frage ich als überzeugter Protestant noch nach dem sola scriptura: Wo in der Bibel steht, dass Karfreitag ein Feiertag ist, an dem Nichtchristen nicht tanzen dürfen? Sachdienliche Hinweise bitte an mich.
Heiko Evermann
Februar 2013