Heilung – warum Walter nicht mehr mit mir reden wollte

Meine Gespräche mit Walter zögen sich über einige Monate hin, in denen wir uns immer wieder im Zug trafen. (Mehr dazu  unter Walter oder was alles aus der Bibel für mich nicht gilt.) Sie fanden aber eines Tages ein plötzliches und für mich unerwartetes Ende. Und das kam so:

St. Petri Hamburg und die charismatische Bewegung

Ich hatte gute Kontakte zur Jugendgruppe der Petrikirche in Hamburg. St. Petri war damals stark von der „geistlichen Gemeindeerneuerung“ geprägt, also von dem landeskirchlichen Teil der charismatischen Bewegung. Gebet war uns wichtig und wir haben oft erlebt, dass Gott uns weitergeholfen hat. Ich wohnte damals in Elmshorn und hatte auch meine Gemeinde dort. Zusätzlich bin ich regelmäßig zu den Abendgottesdiensten nach St. Petri gefahren und habe auch an „Freizeiten“ der Jugendgruppe teilgenommen, also an mehrtägigen Fahrten mit dieser Gruppe. Einmal bin  mit dem Fuß ganz blöd umgeknickt und konnte kaum noch auftreten. So etwas kommt immer ungelegen, aber besonders störend ist das, wenn man mit einer Gruppe gemeinsam unterwegs ist. Abends haben dann ein paar andere Jugendliche unter Handauflegung für mich gebetet. Und von einer Minute zur anderen war mein Fuß wieder gut, ich konnte sogar auf diesem Fuß einbeinig hüpfen.

Ich gestehe zu, dass wir so etwas nicht so oft erlebt haben, wie wir uns das wünschten, aber wir haben immer wieder erlebt, dass Gott das Gebet um Heilung erhört hat.

Der Wachtturm zu Krankenheilung

Gar nicht lange darauf gab Walter mir aus seinem reichen Fundus an Literatur einen neuen Wachtturm mit dem Titelthema Heilung und warum es das heute nicht mehr gibt. (WT vom 1. Juni 1992)  Er meinte, ich wäre ja in der charismatischen Bewegung und das wäre doch genau unser Thema. Gut, dachte ich mir, und habe den Wachtturm eingepackt und gelesen. Auf Seite 5 fragte der Artikel „Wie der Glaube kranken helfen kann“

Wird die Gabe des Heilens durch heiligen Geist heute immer noch verliehen?

Und beantwortet diese Frage dann so:

Nachdem die Apostel gestorben waren, wurde die Gabe des Heilens nicht mehr verliehen. Paulus selbst deutete diese Entwicklung an. Er verglich die Christenversammlung mit einem Kleinkind und sagte: „Als ich ein Unmündiger war, pflegte ich wie ein Unmündiger zu reden, wie ein Unmündiger zu denken, wie ein Unmündiger zu überlegen; nun aber, da ich ein Mann geworden bin, habe ich die Merkmale eines Unmündigen abgelegt.“ Mit dieser Veranschaulichung wollte er ausdrücken, daß die Wundergaben des Geistes sozusagen zur Kindheit der Christenversammlung gehörten. Sie waren „die Merkmale eines Unmündigen“. Deshalb erklärte er: „Sie [die Wundergaben] werden weggetan werden“ (1. Korinther 13:8-11).

Was steht wirklich drin in diesem Bibelabschnitt? Ich finde, es lohnt sich, noch zwei Verse weiter zu lesen, und die Hervorhebungen sind von mir.

13,8 Die Liebe vergeht niemals; seien es aber Weissagungen, sie werden weggetan werden; seien es Sprachen, sie werden aufhören; sei es Erkenntnis, sie wird weggetan werden. 13,9 Denn wir erkennen stückweise, und wir weissagen stückweise; 13,10 wenn aber das Vollkommene kommt, wird das, was stückweise ist, weggetan werden. 13,11 Als ich ein Kind war, redete ich wie ein Kind, dachte wie ein Kind, urteilte wie ein Kind; als ich ein Mann wurde, tat ich weg, was kindlich war. 13,12 Denn wir sehen jetzt mittels eines Spiegels, undeutlich, dann aber von Angesicht zu Angesicht. Jetzt erkenne ich stückweise, dann aber werde ich erkennen, gleich wie auch ich erkannt worden bin. 13,13 Nun aber bleibt Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei; die größte aber von diesen ist die Liebe.

Ich finde diese Argumentation des Wachtturms abenteuerlich. Denn das Vollkommene ist doch Gottes neue Welt, denn dann werden wir Gott von Angesicht zu Angesicht sehen. Wenn dann die Geistesgaben aufhören, dann ist das nicht verwunderlich, weil man sie dann nicht mehr brauchen wird. Aber diese neue Welt ist doch offenkundig noch nicht da! Und damit folgt doch aus 1. Kor 13,8-13, dass die Geistesgaben noch immer zur Verfügung stehen. Und daraus ergibt sich doch die Verpflichtung, sie auch zu nutzen. Im Bibeltext steht also das genaue Gegenteil dessen drin, was der Wachtturm dort hineinlesen will

Walter wandte nun ein, dass die Zeugen Jehovas diese Geistesgaben nicht erleben würden. (Was, bei Euch gibt es keine Heilung, dachte ich? Wo ich das doch gerade erst mit meinem Fuß erlebt hatte???) Zu diesem Thema fielen mir dann zwei weitere Bibelstellen ein, die ich Walter nannte.

Zuerst wies ich ihn auf 1. Kor 14,1 hin:

Strebt nach der Liebe; eifert aber nach den geistlichen [Gaben], besonders aber, daß ihr weissagt.

Es ist also im Gegensatz zum Wachtturm unsere ausdrückliche Aufgabe, uns um die Geistesgaben zu bemühen. Wir sollen sie erstreben.

Und schließlich berief ich mich noch auf Jakobus 4,2

Ihr habt nichts, weil ihr nicht bittet;

Ich sagte ihm, ich könne mir das ja gut vorstellen, dass die Zeugen Jehovas das nicht erleben. Wenn man daran nicht glaubt, bittet man nicht darum und Jakobus sagt ja, dass man dann auch nichts hat.

Das war dann der Punkt, mit dem Walter nicht mehr umgehen konnte. Er lehnte es ab, mit mir weiter über den Glauben der Zeugen Jehovas zu reden und brach den Kontakt mit mir vollständig ab.

Was ist das für ein trauriger Glaube des Wachtturms, der ausdrücklich lehrt, man könne Gott nicht um Gesundheit bitten. Stattdessen wird nur empfohlen (Seite 6)

Wieviel besser ist es, nach biblischen Grundsätzen zu leben, als Drogen zu nehmen, zu rauchen, sich zu betrinken oder zuviel zu essen und sich dann wegen der daraus resultierenden Krankheiten verzweifelt Wunderheilern zuzuwenden. Ein vernünftiges Verhalten, durch das man sich vor vermeidbaren Krankheiten schützen kann — sich etwa nach Möglichkeit gesund zu ernähren oder, soweit vorhanden, fachgerechte ärztliche Hilfe in Anspruch zu nehmen —, läßt sich nicht dadurch ersetzen, daß man um ein Wunder betet, wenn man krank wird.

Ja, gesund leben soll man, und meine Kirche (Siebenten-Tags-Adventisten) legt darauf auch viel wert. Aber wenn man doch krank wird (wie es ja oft geschieht), dann heißt es im Wachtturm nur (Seite 8)

Solltest du also krank werden, so bete zu Gott um Beistand.

Soll heißen: du kannst beten, dass Gott in der Krankheit deine Hand hält, aber um Heilung sollst Du ihn nicht bitten.

Was ist das für ein trauriger Glaube, der denen, die das dennoch tun, explizit unterstellt, sie würden dem Teufel dienen? (Seite 6 selber Artikel)

Solche Personen folgen nicht den Fußstapfen Jesu. Aber wem folgen sie denn dann? Der Apostel Paulus gibt uns einen Hinweis, wenn er sagt: „Der Satan selbst nimmt immer wieder die Gestalt eines Engels des Lichts an.

Ich finde das unglaublich arm. Der Gott, den ich persönlich kennenlernen durfte, ist viel, viel reicher als der Wachtturm und er hat uns schon oft Gesundheit gegeben, die außerhalb unserer Reichweite schien. Nicht immer, aber oft. Und ich werde nicht aufhören, dafür zu beten. Genauso wie es uns aufgetragen ist. „Ihr habt nichts, weil ihr nicht bittet“ soll in meinem Leben keinen Platz haben.