Kirche und Evangelikale sollen enger zusammenrücken?


Das war ungewöhnlich. Die evangelikale Nachrichtenagentur idea meldet

Kirche und Evangelikale sollen enger zusammenrücken.

Gefordert hat dies „eine führende Repräsentantin der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau, Pröpstin Annegret Puttkammer (Herborn)“. Ihr Argument?

Angesichts einer zunehmenden Skepsis gegenüber Religion in der Gesellschaft sollten die Volkskirche und die evangelikale Bewegung enger zusammenrücken.

Und

Denn nur wenn die Christen als „gemeinsame gesellschaftliche Kraft“ aufträten, würden sie gehört.

Mein Fragezeichen
Es ist zunächst einmal richtig. In der Politik und überhaupt in der Gesellschaft wird man nur gehört, wenn man als Gruppe groß genug ist. Auf der anderen Seite sind die Beziehungen zwischen der Volkskirche und der evangelikalen Bewegung schon lange angespannt. Deshalb frage ich mich, welches Preisschild bei diesem Ansinnen draufsteht.

Bewegt sich da tatsächlich etwas zum Guten?. Immerhin heißt es in dem Artikel auch:

Puttkammer zufolge erleben Glaubenskurse in der hessen-nassauischen Kirche derzeit einen Boom: „Das hätte ich mir so nie träumen lassen.“ Zunehmend werde erkannt: „Die Weitergabe des Glaubens ist unsere zentrale Aufgabe.“

Das ist aus dem Mund der landeskirchlichen Leitung eine ungewöhnliche Aussage, denn Glaubenskurse, wie z.B. den Alpha-Kurs,k enne ich nur aus dem evangelikalen Umfeld.

Was ist der Preis für die Einheit?
Aber hat Pröbstin Puttkammer das Anliegen der evangelikalen Bewegung wirklich verinnerlicht? Und damit kommen wir jetzt zu dem Preisschild der ganzen Sache. Denn weiter heißt es:

Die Pröpstin äußerte sich auch zu der Frage, warum viele junge Christen in unabhängige Gemeinden abwandern. Sie schätzten dort die enge Gemeinschaft und die zeitgemäße Musik.

Dieses Abwandern habe auch ich beobachtet. Ich habe es in zwei landeskirchlichen Jugendkreisen erlebt, dass viele der Jugendlichen die evangelische Landeskirche verlassen haben und zu freikirchlichen Gemeinden gewechselt sind. Aber die Diagnose ist falsch. Es ging hierbei nämlich nur am Rande um enge Gemeinschaft, denn diese hatten wir ja im Jugendkreis schon. Auch die Musik war nicht das Problem, denn wir haben ohnehin die Musik gemacht, die uns gefiel.

Vielmehr ging es um die zentrale Frage, welche Rolle der Glauben im Alltag spielen kann/darf/soll. Ja es ging sogar zentral darum, was christlicher Glaube überhaupt ist. Mit klaren Aussagen zum Glauben sind wir in der Volkskirche immer wieder gegen Mauern gerannt. Immer wieder kam es darüber zu Auseinandersetzungen mit der Gemeindeleitung. Und irgendwann haben viele von uns die Schlussfolgerung gezogen, dass die Volkskirche nicht grundsätzlich und nicht tiefgreifend erneuerbar ist. Es ist einfach ein Problem, wenn man innerhalb der Kirche Bibeltexte wie die klare Ansage von Jesus in Johannes 14:6

Jesus spricht zu ihm: Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben; niemand kommt zum Vater denn durch mich.

nicht zitieren kann, ohne dass einem die Kirchenleitung widerspricht.

Das Problem ist: engagiertes Christentum wird von der Kirche ausgebremst. Das Gruppengefühl in Freikirchen ist übrigens nur dir Folge des Glaubens und nicht deren Ursache. Auch bei der moderner Musik, konkret gemeint ist Lobpreis/Anbetungsmusik, geht es um dieselbe Glaubensfrage. Denn diese Musik stellt ganz konkret die eigene, persönliche Beziehung zu Gott und zu Jesus in den Mittelpunkt. Über diese Musik sagte mir ein landeskirchlicher Pastor aus diesem Grunde, er könne sie „theologisch nicht verantworten“.

Frau Puttkammer meint dazu nun:

Allerdings seien manche theologischen Inhalte problematisch. So werde dort häufig betont, dass man sich für Gott entscheiden müsse. Biblische Aussagen, wonach der Glaube ein Geschenk Gottes sei, würden dagegen vernachlässigt.

Hier wird klar, dass Pröbstin Puttkammer den Kern des Problems nicht verstanden hat oder nicht verstehen will.

  • Die Aufforderung zu einer persönlichen Bekehrung,
  • die Aufforderung, sich das Geschenk der Gnade Gottes auch persönlich anzueignen,
  • die Aufforderung, sich selbst zum Glauben zu bekennen, vielleicht zum allerersten Mal, und
  • die Aufforderung, seinen Lebensstil an Gottes Maßstäben auszurichten,

all dies sind evangelikale Kernaussagen, all diese Punkte sind für Evangelikale nicht verhandelbar. Und sie haben biblischen Boden. Schauen wir uns beispielsweise Johannes den Täufer an:

Markus 1,4-5

Johannes, der war in der Wüste, taufte und predigte von der Taufe der Buße zur Vergebung der Sünden. Und es ging zu ihm hinaus das ganze jüdische Land und die von Jerusalem und ließen sich alle von ihm taufen im Jordan und bekannten ihre Sünden.

Da nimmt sich doch Johannes heraus, Menschen konkret zur Umkehr aufzurufen. Und das, obwohl Jerusalem eine religiöse Stadt war. Die meisten dieser Menschen waren damals „in der Kirche“ (genauer sollte ich wohl sagen „in der Synagoge“). Und trotzdem ruft Johannes sie zu einer Grundsatzentscheidung auf.

Jesus brachte nur kurz danach dieselbe Botschaft:

Markus 1,14-15
Nachdem aber Johannes überantwortet war, kam Jesus nach Galiläa und predigte das Evangelium vom Reich Gottes und sprach: Die Zeit ist erfüllet, und das Reich Gottes ist herbeigekommen. Tut Buße und glaubt an das Evangelium!

Und was predigten die ersten Christen?

Apg. 2,37-38
Da sie aber das hörten, ging’s ihnen durchs Herz, und fragten Petrus und die andern Apostel: Ihr Männer, was sollen wir tun? Petrus sprach zu ihnen: Tut Buße und lasse sich ein jeglicher taufen auf den Namen Jesu Christi zur Vergebung der Sünden, so werdet ihr empfangen die Gabe des Heiligen Geistes.

Diese Botschaft ist für die Volkskirche ein Problem. Sie kann nicht damit umgehen, wenn Christen in dieser Kirche aufstehen und feststellen, dass viele Mitglieder der evangelischen Kirche dem Glauben völlig fern stehen. Die evangelikale Bewegung ruft  diese Menschen dazu auf, den Glauben persönlich zu entdecken und sich dann bewusst zu entscheiden, ob sie dazu gehören wollen oder nicht.  Die Kirche könnte sich freuen, dass Christen hier ihrer Aufgabe nachfolgen. Stattdessen wird gebremst. Denn nach volkskirchlicher Lesart ist jedes Mitglied, das als Baby getauft wurde und nicht ausgetreten ist, irgendwie Christ. Egal ob er oder sie glaubt, betet, oder die Bibel liest, oder nicht. Egal ob er oder sie die Ehe bricht, oder als Bankster die Armen ausbeutet.

Um es auf den Punkt zu bringen: Nach evangelikalem Verständnis ist Glaube die Antwort des Menschen auf Gottes Einladung, mit ihm zu leben. Und Christ ist man, Taufschein hin oder her, nach evangelikalem Verständnis nur dann, wenn man dieses Angebot ergreift.

Fazit
Das Preisschild an Frau Puttkammers Aufforderung an die Evangelikalen zusammenzurücken ist dieses: die Evangelikalen sollen bitte den Mund halten und nicht länger zu einer persönlichen Entscheidung für Jesus aufrufen.  Diesen Gefallen können wir ihr nicht machen:
Wir werden auch weiterhin Menschen zum Glauben einladen, ihnen den Glauben erklären und sie dann vor die Entscheidung stellen, ob sie Jesus als ihren Herrn annehmen wollen, als ihren Boss, und ob sie bereit sind, die Gebote Gottes kennenzulernen und ihr Leben daran auszurichten. Wir werden sie einladen zur Gemeinschaft, dazu zur Gemeinde dazuzugehören. Und wie wir oben in der Bibel gesehen haben, sind wir da in guter Gesellschaft.

Ich selbst bin übrigens schon vor rund 20 Jahren zu dem Schluss gekommen, dass man dies im Rahmen der Volkskirche nicht gut kann und habe mich deshalb einer freikirchlichen Gemeinde angeschlossen.

Heiko Evermann
Februar 2012

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