Die Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage verwendet viele Begriffe, die vertraut klingen, aber anders gefüllt sind als im klassischen christlichen Sprachgebrauch. Dieses Lexikon erklärt häufige mormonische Begriffe für Nichtmormonen.
Apostel
Mormonisches Verständnis:
Ein Apostel ist ein lebenslang berufener Kirchenführer mit besonderer Vollmacht. Die zwölf Apostel bilden gemeinsam mit der Ersten Präsidentschaft die höchste Leitung der Kirche. Sie gelten als Propheten, Seher und Offenbarer.
Unterschied zum Neuen Testament:
Im Neuen Testament mussten Apostel Augenzeugen des auferstandenen Christus sein, siehe Apg 1,21–22. Eine apostolische Sukzession mit fortlaufender Offenbarung ist dort nicht belegt. Apostel wurden in späteren Jahrhunderten nicht nachberufen.
Bischof
Leiter einer lokalen Gemeinde (Ward).
Bedeutung:
Der Bischof ist ein ehrenamtlicher Laienführer ohne theologische Ausbildung. Er leitet die Gemeinde, führt Würdigkeitsinterviews, entscheidet über die Tempelzulassung, vergibt Berufungen und hat disziplinarische Befugnisse.
Unterschied zu anderen Kirchen:
In anderen Kirchen entspricht dieses Amt am ehesten einem Pastor. Üblicherweise wird dafür eine fundierte theologische Ausbildung vorausgesetzt. Würdigkeitsinterviews sind dort unbekannt.
Buch Mormon
Zusätzliche heilige Schrift neben der Bibel.
Mormonisches Verständnis:
Das Buch Mormon gilt als „weiteres Zeugnis Jesu Christi“ und als notwendig zur Wiederherstellung des „vollen Evangeliums“.
Einordnung:
Historische, sprachliche und archäologische Belege fehlen; zentrale Lehren widersprechen biblischen Aussagen (z. B. Natur Gottes, Tod und Auferstehung).
Endowment
Ein Tempelritual mit Gelübden. Das englische Wort „to endow“ bedeutet begaben, ausstatten. Der Begriff „endowment“ wird von den Mormonen im Deutschen in der Regel nicht übersetzt. Der Inahlt des Endowments wird nicht von der Kirche veröffentlicht, auch wenn er sich im Laufe der Zeit herumgesprochen hat.
Mormonisches Verständnis:
Gläubige erhalten geistliche Kraft, besondere Erkenntnis und Verheißungen für das ewige Leben.
Unterschied zum Neuen Testament:
Die Bibel kennt keine geheimen Heilsrituale oder stufenweise Erlösung durch Tempelzeremonien.
Fülle des Evangeliums
Der Anspruch, dass nur die mormonische Kirche das vollständige Evangelium besitzt.
Mormonisches Verständnis:
Andere Kirchen haben Teilwahrheiten, aber nicht die „Fülle“. Insbesondere seien deren Taufe und Abendmahl aus Gottes Sicht ungültig.
Unterschied zum Neuen Testament:
Das Neue Testament spricht von der Fülle in Christus (Kol 2,9). Es geht um die Verbindung zu Christus, nicht um die Verbindung zu einer menschlichen Institution. Kirche ist dort, wo sich Christen treffen. (Jesus lehrte: „Wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind, da bin ich mitten unter ihnen“. Mt 18,20)
Pfahl
Ein Pfahl (engl.: stake) ist eine regionale Organisationseinheit aus mehreren Gemeinden (Wards).
Bedeutung:
Ein Pfahl fasst mehrere Wards zusammen und wird vom Pfahlpräsidenten geleitet. Er koordiniert die Gemeindeleitung, ist für übergeordnete organisatorische Aufgaben zuständig und wirkt bei Würdigkeits- und Disziplinarfragen mit.
Vergleich zu anderen Kirchen:
Ein Pfahl entspricht in etwa einer katholischen Diözese, auch hinsichtlich der disziplinarischen Über-/Unterordnung.
Prophet
Oberster Kirchenführer mit Offenbarungsanspruch.
Mormonisches Verständnis:
Der amtierende Kirchenpräsident ist Prophet Gottes auf Erden.
Problematisch:
Frühere „Offenbarungen“ wurden später widerrufen (z. B. Priestertumsverbot für Schwarze, Polygamie). Dennoch wird daraus nicht gefolgert, dass der damalige Kirchenführer kein Prophet Gottes war.
Unterschied zum Neuen Testament:
Das Neue Testament kennt Prophetie. Diese ist nicht auf den Kirchenführer beschränkt. Oft waren es in der Bibel gerade NICHT die geistlichen Führer, denen Gott seine prophetischen Worte gab. Prophetie war in der Bibel breit gestreut und kam häufig im Gottesdienst vor: 1. Kor 14,29-31: „Propheten aber sollen zwei oder drei reden, und die anderen sollen es beurteilen. Wenn aber einem anderen, der dasitzt, eine Offenbarung zuteil wird, so soll der erste schweigen. Denn ihr könnt alle einer nach dem anderen weissagen, damit alle lernen und alle ermahnt werden.“ Propheten zeichnen sich dadurch aus, dass sie tatsächlich Prophetien bekommen und nicht dadurch, dass sie Präsident einer Kirche sind.
Sakrament
Bezeichnung für das Abendmahl.
Bedeutung:
Das Sakrament wird wöchentlich gefeiert und besteht aus Brot und Wasser. Es dient der Erneuerung persönlicher Taufbündnisse. Der Begriff wird nicht für die Taufe verwendet.
Unterschied zu anderen Kirchen:
In anderen Kirchen bezeichnet „Sakrament“ meist mehrere heilige Handlungen (z. B. Taufe und Abendmahl); diese Bedeutungsbreite fehlt im mormonischen Sprachgebrauch.
Tempel
Religiöses Gebäude für besondere Rituale.
Mormonisches Verständnis:
Nur „würdige“ Mitglieder dürfen hinein; dort finden Taufen für Tote, Siegelungen und Endowments statt.
Biblische Sicht:
Im Neuen Testament ist Christus selbst der Tempel, und der Zugang zu Gott ist offen (Hebr 10). Die christliche Gemeinde hat im Neuen Testament keine Tempel eingerichtet. Sie hatte noch nicht einmal Gemeindehäuser/Kirchengebäude und hat sich stattdessen meist bei Gemeindegliedern zu Hause getroffen.
Ward
Lokale Gemeinde.
Bedeutung:
Ein Ward ist die reguläre örtliche Gemeinde und wird von einem Bischof geleitet. Die Zugehörigkeit ist geografisch festgelegt; Mitglieder können ihren Ward nicht frei wählen.
Unterschied zu anderen Kirchen:
In anderen Kirchen besteht in der Regel die freie Gemeindewahl.
Würdigkeitsinterview
Regelmäßiges Gespräch zur Überprüfung der persönlichen Würdigkeit.
Bedeutung:
Das Interview wird vom Bischof oder Pfahlpräsidenten geführt und entscheidet u. a. über Tempelzulassung, kirchliche Aufgaben und die Zulassung zum Missionsdienst. Die Fragen betreffen Glauben, Lebensführung, Zehnten und Loyalität zur Kirche.
Unterschied zu anderen Kirchen:
In anderen Kirchen gibt es keine formellen Interviews, von denen der Zugang zu Gottesdiensten oder kirchlichen Handlungen abhängt.
Zeugnis geben (mormonisch)
Öffentliches persönliches Glaubensbekenntnis.
Bedeutung:
„Zeugnis geben“ ist ein zentraler Bestandteil der religiösen Praxis. Mitglieder bekennen öffentlich ihre Überzeugung von der Wahrheit der Kirche und ihrer Lehren, besonders in der monatlichen Zeugnisversammlung, aber auch bei Firesides, in Jugendgruppen und im missionarischen Gespräch.
Typische Beispielformulierungen sind:
- „Ich weiß, dass die Kirche wahr ist.“
- „Ich weiß, dass Joseph Smith ein Prophet Gottes war.“
- „Ich weiß, dass das Buch Mormon wahr ist.“
- „Ich weiß, dass Jesus Christus mein Erlöser ist.“
Auffällig ist der häufige Gebrauch des Wortes „wissen“ statt „glauben“.
Unterschied zu anderen Kirchen:
In anderen Kirchen bezieht sich ein Zeugnis in der Regel auf das persönliche Erleben des Glaubens oder auf das Handeln Gottes und ist nicht ritualisiert oder formelhaft vorgegeben.
Weitere Artikel über die Mormonen findest du hier.
