Joh 14:14 – Beten zu Jesus?

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Joh 14:14 – Beten zu Jesus?

Darf man zu Jesus beten? Nach Auffassung des Wachtturms natürlich nicht. Beten dürfe man ausschließlich zu Jehova. So heißt es beispielsweise in dem Buch „Was lehrt die Bibel wirklich“ in Kapitel 17 Absatz 9 (die kursive Hervorhebung ist aus dem Original):

„Damit unsere Gebete Gehör finden, dürfen wir nur zu Jehova und nur durch seinen Sohn beten.“

Da kommt der Vers Johannes 14:14 ungelegen. Dort heißt es (Elberfelder Übersetzung) :

Joh 14:14 (Elberfelder): Wenn ihr mich etwas bitten werdet in meinem Namen, so werde ich es tun.

Für die Lehre der Zeugen Jehovas ist dieser Vers eine echte Herausforderung. Jesus lädt seine Jünger auf, ihn anzurufen, ihn um Dinge zu bitten. Das ist unbequem dicht dran an dem Thema Dreieinigkeit.
Wenn man nun in der Neuen-Welt-Übersetzung nachschaut, so steht da etwas anderes. Dort lautet der Vers so:

Joh 14:14 (NWÜ deutsch): Wenn ihr um etwas in meinem Namen bittet, will ich es tun.
Joh 14:14 (NWÜ englisch):If YOU ask anything in my name, I will do it.

Das Wort „mich“ fehlt. Wie kommt das? Und wer hat recht? Liegt womöglich eine bewusste Manipulation vor, entweder in der einen oder in der anderen Richtung? Wie kann man das entscheiden? Wenn Übersetzungen sich nicht einig sind, dann hilft nur ein Blick in den Originaltext, im Falle des Neuen Testaments also eine Untersuchung des griechischen Bibeltexts.

Was ist eine Interlinearübersetzung?

Die Zeugen Jehovas haben eine spezielle zweisprachige Ausgabe der Neuen-Welt-Übersetzung herausgegeben: „The Kingdom Interlinear Translation of the Greek Scriptures“, erschienen in zwei Ausgaben, zuerst im Jahre 1969 und dann erneut im Jahre 1985. Damit kann man die englische Neue-Welt-Übersetzung direkt mit der griechischen Vorlage vergleichen. (Online via http://www.soundwitness.org/jw/kit_download.htm)

Auf jeder Seite steht rechts der Text der NWÜ. Links steht der griechische Originaltext. Unter jedem griechischen Wort steht eine direkte Übersetzung dieses einen Worts. So eine Bibelausgabe kann beim Bibelstudium eine große Hilfe sein, besonders wenn man Altgriechisch ein Stück weit kann, aber im Vokabular Lücken hat:

  • Man braucht nicht jedes Wort, dessen Bedeutung man nicht kennt, im Lexikon nachzuschlagen.
  • Man kann schnell ein einzelnes griechisches Wort identifizieren, das man näher untersuchen möchte.
  • Man kann dem griechischen Text da folgen, wo man die Wörter schon kennt und kann sich an anderen Stellen, an denen das Griechisch schwieriger ist, eher auf die Übersetzung stützen.

Interlinearübersetzungen der Bibel gibt es von verschiedenen Autoren. So bietet beispielsweise der Hänssler-Verlag ein hebräisch-deutsches AT und ein griechisch-deutsches NT (ISBN 3417254035) an.

Der Anspruch der Kingdom Interlinear Translation

Der Anspruch der KIT ist hoch. Im Vorwort der Ausgabe von 1969 heißt es (Seite 5, Hervorhebung von mir)

„The word-for-word interlinear translation and the New World Translation are arranged parallel on the page, so that comparisons can be made between the two readings and the accuracy of any modern translation can be determined.“

Die KIT soll also ausdrücklich dazu dienen, die NWÜ mit dem griechischen Text zu vergleichen. Darüber hinaus soll sie dem Zeugen Jehovas ein Werkzeug an die Hand geben die „Genauigkeit jeglicher modernen Übersetzung“ („the accuracy of any modern translation“) überprüfen zu können. Dieser Einladung komme ich für Joh 14:14 gerne nach.

Joh 14:14 im direkten Vergleich

Joh 14:14 sieht in der Interlinearbibel der NWÜ so aus (rote Hervorhebungen von mir, der Text findet sich auf den Seiten 482 und 483):

Joh 14:14 in der „Kingdom Interlinear Translation“

Ein Bild sagt mehr als tausend Worte. In einem amerikanischen Krimi würde der Staatsanwalt jetzt feststellen: Sie sind der Fälschung überführt. Nach Ihrer eigenen Aussage gehört das fragliche „mich“ zum Bibeltext, aber in Ihrer Bibelübersetzung haben Sie es weggelassen.

Einwände von Zeugen Jehovas gegen meine Argumentation

An sich könnte dieser Artikel an dieser Stelle zu Ende sein. Aber nachdem ein Zeuge Jehovas mir im Internet vorwarf, ich würde mit dieser Darstellung Dinge „absichtlich verschweigen“, die meine oben stehenden Ausführungen „relativieren“, möchte ich noch einige Informationen nachlegen. Das unten Stehende kurz zusammengefasst: das ändert nichts an meiner Bewertung, dass es sich bei der NWÜ im Vers Johannes 14:14 um eine bewusste Fehlübersetzung handelt.

Hierbei geht es darum, dass der griechische Text des Neuen Testaments an manchen Stellen nicht eindeutig ist. (Mehr zu dieser grundsätzlichen Frage unter dem Stichwort „Textkritik“ auf meiner Webseite.) Der Bibeltext ist uns aus den ersten Jahrhunderten nur in Form von Handschriften überliefert. Keine davon ist dasjenige Exemplar, das von den Autoren mit eigener Hand erstellt wurde. Alle sind Abschriften. Und manchmal gibt es Unterschiede. Einzelne Wörter, manchmal ganze Sätze, die in der einen Handschrift enthalten sind und in einer anderen fehlen.

Der Anwalt der Verteidigung könnte an dieser Stelle einwenden: Betroffen ist auch Joh 14:14. Es gibt Handschriften, in denen in Vers 14 das Wort „mich“ enthalten ist, und es gibt auch solche, in denen das Wort nicht enthalten ist. Und es gibt merkwürdigerweise auch Handschriften, in denen der ganze Vers 14 fehlt.

Die Textbasis der „Neuen-Welt-Übersetzung“

An dieser Stelle lohnt sich, den Zeugen, also die die Kingdom Interlinear Translation, erneut zu befragen und zwar das Vorwort der Ausgabe von 1969. Auf Seite 9 heißt es:

„The Greek text that we have used as the basis of our New World translation is the widely accepted Westcott and Hort text (1981), by reason of its admitted excellence.“

Da stellt sich zunächst einmal die Frage, warum man im Jahre 1969 (und gleichlautend im Jahre 1985) einen griechischen Text zur Grundlage der eigenen Übersetzung nimmt, der 1985 schon über 100 Jahre alt war. Hat die Textforschung in den vergangenen 100 Jahren nichts Wichtiges herausgefunden? Wäre eine neuere Textausgabe nicht eine angemessenere Basis gewesen?

Wenn man im Vorwort weiterliest stellt man fest, dass zum Teil auch andere Ausgaben herangezogen wurden. (Hervorhebung von mir)

„But we have also taken into consideration other texts, including that prepared by D. Eberhard Nestle and that compiled by the Spanish Jesuit scholar A. Merk. Where we have varied from the reading of the Westcott and Hort text, our footnotes show the basis for our preferred reading.

Solche Fußnoten finden sich in der KIT an einigen Stellen. Nicht aber im Fall von Joh 14:14. Und das weder in der Ausgabe von 1969 noch in der von 1985. Und dieses Statement des Zeugen KIT über die Neue-Welt-Übersetzung von Joh 14:14 nehme ich beim Wort. Die KIT sagt: unser Maßstab ist der (alte) Text von Westcott-Hort. Alle Abweichungen davon sind markiert und begründet. Und deshalb meine ich, dass ich mit Fug und Recht der KIT und der NWÜ vorwerfen kann, das Wort „mich“ hier zu unterschlagen.

Weitere Stellungnahmen der Wachtturm-Literatur zu Joh 14:14

In der mir zugänglichen Literatur der Zeugen Jehovas (z.B. die Watchtower online library) habe ich zur Frage des Originaltexts von Joh 14:14 keine Ausführungen gefunden. Ich vermute, (und ich betone an dieser Stelle: das ist meine Meinung, meine Bewertung des Gesamtbilds) man will die Leser nicht darauf stoßen, dass es mit der Dreieinigkeitslehre vielleicht doch etwas auf sich haben könnte. Denn wer über das „mich“ in Joh 14:14 stolpert, der könnte ja an anderen Bibelstellen auch ins Frage kommen.

Der einzige magere Hinweis ist eine Fußnote dazu , die sich aber nur in der „Studienbibel“-Ausgabe der NWÜ findet. Dort heißt es knapp:

Gemäß ADIt u. in Übereinstimmung mit 15:16 u. 16:23; P66אBWVgSyh,p: „Wenn ihr mich . . . bittet“.

Das nun finde ich wirklich nicht ausreichend. Angeführt werden die folgenden Handschriften ohne „mich“:

  • A ist der Codex Alexandrinus von ca. 400 n. Chr.
  • D ist der Codex Beza, ein zweisprachiges NT in Latein und Griechisch, das an vielen Stellen so klingt als hätte es Sonderlocken des altlateinischen Texts ins griechische Original rückübertragen, für mich ein Codex ohne Gewicht.
  • Sowie mit It die altlateinische Übersetzung.

Also eine magere Bezeugung. Auf der anderen Seite stehen die folgenden Handschriften mit „mich“:

  • der Papyrus P66, die älteste Handschrift des Johannesevangeliums, die einigermaßen vollständig ist. Sie datiert auf ca. 200 n.Chr.
  • א ist der Codex Sinaiticus, B ist der Codex Vaticanus. W eine weitere wichtige alte Handschrift. Vg ist die lateinische Übersetzung Vulgata.
  • Hinzu kommen noch zwei alte Übersetzungen ins Syrische und (hier nicht erwähnt, die gotische Übersetzung)

Das sind textkritische Schwergewichte, die nicht im Vorbeigehen beiseite wischen kann.

Bleibt noch die Frage, was die von der Studienbibel angeführten Verse Joh 15:16 und Joh 16:23 zur Diskussion beitragen können? (Aus der NWÜ)

Joh 15:16 „Nicht ihr habt mich auserwählt, sondern ich habe euch auserwählt, und ich habe euch dazu bestimmt, daß ihr hingeht und fortgesetzt Frucht tragt und daß eure Frucht bleibe, damit, was immer ihr den Vater in meinem Namen bittet, er euch gebe.“

und

16:23 Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Wenn ihr den Vater um etwas bittet, so wird er es euch in meinem Namen geben.

Mich überzeugt dieses Argument nicht. Vers 14:14 steht nicht allein: (NWÜ, in Vers 14 mit wieder eingefügtem „mich“)

14:12 Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Wer Glauben an mich ausübt, der wird auch die Werke tun, die ich tue; und er wird größere Werke als diese tun, denn ich gehe zum Vater hin. 14:13 Und worum immer ihr in meinem Namen bittet, das will ich tun, damit der Vater in Verbindung mit dem Sohn verherrlicht werde. 14:14 Wenn ihr [mich] um etwas in meinem Namen bittet, will ich es tun.

Die genannten Verse Joh 15:16 und 16:23 sind Parallelstellen von Vers 13. Vers 14 setzt mit dem „mich“ noch eins drauf. Es ist die Einladung, sich direkt an Jesus zu wenden. Ohne das Wort „mich“ ist der ganze Vers 14 überflüssig. Ich kann mir die Textvarianten nur dadurch erklären, dass sich einer der frühen Abschreiber an dem „mich“ in Vers 14 gestört hat und es deshalb gestrichen hat. Jemand der den Bibeltext anders herum verfälschen wollte, hätte das nicht nur in 14:14 sondern auch in 14:13 und Joh 15:16 und in Joh 16:23 gemacht. Bei Vorsatz würde ich dieses Mindestmaß an Konsistenz erwarten.

Was wäre an dem „mich“ so schlimm?

Nach Mt 18:20 lehrt uns Jesus, dass er bei den Christen gegenwärtig ist:

Mt 18:20 (NWÜ): Denn wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind, da bin ich in ihrer Mitte.“

Und nach Mat 11:28-30 sollen Christen zu Jesus kommen:

Mat 11:28-30 (NWÜ): 28 Kommt zu mir alle, die ihr euch abmüht und die ihr beladen seid, und ich will euch erquicken. 29 Nehmt mein Joch auf euch und lernt von mir, denn ich bin mild gesinnt und von Herzen demütig, und ihr werdet Erquickung finden für eure Seele. 30 Denn mein Joch ist sanft, und meine Last ist leicht.“

Joh 14:14 mit dem „mich“ entspricht dem, was auch an anderen Stellen in der Bibel steht: (Hervorhebungen von mir)

1. Kor 1:1+2 (NWÜ): Paulus, durch Gottes Willen zu einem Apostel Jesu Christi berufen, und Sosthenes, unser Bruder, 2 an die Versammlung Gottes, die in Korinth ist, an euch, die in Gemeinschaft mit Christus Jesus Geheiligten, zu Heiligen Berufenen, samt allen, die den Namen unseres Herrn Jesus Christus, ihres Herrn und des unseren, überall anrufen:

Nach Paulus war es bei den ersten Christen also völlig üblich „den Namen des Herrn Jesus Christus anzurufen“. Interessanterweise steht hier nicht „die Gott im Namen unseres Herrn Jesus Christus anrufen“. Was bedeutet das?

Wenn „den Namen Jehovas“ nach Meinung der Zeugen Jehovas bedeutet, Jehova unter Nennung seines Namens anzurufen, dann kann „den Namen unseres Herrn Jesus Christus anrufen“ nur eines bedeuten, nämlich Jesus unter Nennung seines Namens im Gebet an zurufen.

Damit steht „Wenn ihr mich etwas bitten werdet in meinem Namen, so werde ich es tun.“ im Einklang mit anderen Aussagen in der Bibel.

Ein Wort zum Schluss

Noch ein Wort zu dem oben angeschnittenen Gesamtbild. Ich weiß, mein Vorwurf an die Adresse der Übersetzer der NWÜ ist hoch, dass hier vorsätzliches Handeln vorliegt. Ich verweise an dieser Stelle ausdrücklich auf meinen Artikel zur Motivation der Neuen-Welt-Übersetzung. Die ausdrückliche Motivation der NWÜ ist es, mit „weltlicher Philosophie“ aufzuräumen, die explizit alle anderen Übersetzungen präge. Und die Dreieinigkeit steht nach Lehre der Zeugen Jehovas dabei ganz oben an. Da verwundert es mich nicht, wenn man in der NWÜ bei Bibelstellen, die auf die Dreieinigkeit hinweisen, zu merkwürdigen Formulierungen kommt.